„Ich bin völlig überfordert mit meinen Briefen!“

Das StafF Team von Innere Mission und Amt für Soziale Dienste (Foto) bringt jede Menge Power mit, wenn es um Jobsuche, Anträge und andere überfordernde Familiensituationen geht. In Huchting und Hemelingen sind sie für Familien da.
© Innere Mission Bremen / Das StafF Team von Innere Mission und Amt für Soziale Dienste (Foto) bringt jede Menge Power mit, wenn es um Jobsuche, Anträge und andere überfordernde Familiensituationen geht. In Huchting und Hemelingen sind sie für Familien da.

Vor etwa einem Jahr meldet sich Lena* bei uns und bittet auf Englisch um Hilfe. Lena kommt aus einem westafrikanischen Land und lebt als Alleinerziehende mit drei kleinen Kindern in Huchting. Zu unserem Erstgespräch erscheint Lena mit ihrem jüngsten Sohn, für den sie noch keinen Kita-Platz gefunden hat. Aus der Tasche am Kinderwagen zieht Lena einen großen Stapel an Briefen hervor und seufzt: „Ich bin völlig überfordert mit meinen Briefen!“

Das ist ein Satz, den wir in der Beratung und Begleitung von Familien häufig hören. Viele unserer ratsuchenden Familien leben erst einige Jahre in Deutschland. Auch wenn die meisten Arbeit suchen oder Arbeit haben, sind die bei uns beratenen Familien auf Sozialhilfe oder andere finanzielle Hilfen angewiesen. Sehr viele sind alleinerziehend und haben mehrere kleine Kinder, die noch nicht alle Betreuungsplätze gefunden haben. So sammeln sich oft gleich mehrere kleine und große Baustellen rund um das Thema Familie und Finanzen auf einmal an.

Während wir mit den Familien in kleinen Schritten diese Baustellen angehen, machen wir immer wieder die Erfahrung, dass erst die kleinen Veränderungen im Alltag auch größere Veränderungen der Lebenssituation bewirken können. Denn erst wenn zum Beispiel die Betreuung aller Kinder gesichert ist, ein Telefonat selbständig geführt werden kann oder sämtliche alltäglichen bürokratischen Anforderungen in Deutschland verstanden werden, können Eltern überhaupt beginnen, über die Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung nachzudenken.

„Jetzt bin ich bereit“

So ergeht es auch Lena im Laufe unserer Beratung. Gemeinsam mit Lena verschaffen wir uns in den ersten Terminen einen Überblick. Die junge alleinerziehende Mutter äußert mehrere Anliegen. Ein Kita-Platz für den Kleinsten fehlt, die aktuelle Wohnung ist zu klein und renovierungsbedürftig, die ständigen Briefe vom Jobcenter sind kompliziert und ein Antrag auf Unterhaltsvorschuss muss auch noch gestellt werden.

Die vielen verschiedenen bürokratischen Anforderungen, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, sind sehr überfordernd für Lena. Im Alltag zwischen Brief-Chaos und Kinderbetreuung bleibt kaum noch Zeit, an die anderen Wünsche zu denken: Mal wieder andere Mütter treffen, einen Deutschkurs besuchen, vielleicht eine Ausbildung machen…

In den kommenden Monaten schauen wir mit Lena Schritt für Schritt, wie wir die Wünsche bearbeiten können. Auch im Team tauschen wir uns aus: Unsere Stadtteilberaterin hat noch Ideen, welche Gruppenangebote Lena gefallen könnten und bespricht mit uns gemeinsam, ob wir der Alleinerziehenden zusätzliche Unterstützungen der Kinder- und Jugendhilfe vorschlagen könnten. Als es Lena eine Zeit lang mit ihrer Überforderung gar nicht mehr gut geht, ziehen wir unsere systemische Beraterin hinzu, die ein entlastendes Gespräch mit Lena führt.

Im Tandem-Team mit einer Kollegin suchen wir Sprachkurs-Angebote mit Kinderbetreuung und begleiten zur Anmeldung, besprechen die eintreffenden Briefe, führen gemeinsame Telefonate mit Behörden und beantworten weitere Fragen. Lena beginnt, die Briefe besser einordnen zu können, erste Telefonate selbst zu führen.

Durch die anderen Termine im Stadtteil, etwa bei der Kindergartenanmeldung oder einem Gruppenangebot, traut sich Lena immer mehr, auf Deutsch zu sprechen. Auch in der Beratung beginnen wir immer mehr Sätze auf Deutsch auszutauschen, bis Lena an einem Tag plötzlich stolz sagt: „Ich habe meinen B1-Deutsch-Kurs geschafft. Ab jetzt bin ich bereit, nur noch Deutsch zu sprechen!“

„Habe ich alles richtig ausgefüllt?“

Heute sitzt Lena in unserem Büro und füllt einen Antrag auf Unterhaltsvorschuss aus. Manche Felder sind schnell ausgefüllt, dann ein gelegentliches Stirnrunzeln, Kramen in den mitgebrachten Unterlagen, weiteres Ausfüllen, dann ein kurzer Blick zu mir: „Stimmt das so?“

Ich schaue auf den Antrags-Papier-Berg, gebe Hinweise und Erklärungen zu manchen besonders kompliziert gestellten Fragen. Dass auch ich manchmal kurz überlegen oder Fragen nachschauen muss und dies auch offen zeige, beruhigt Lena. Mit Ruhe und bestärkenden Worten arbeitet sie sich weiter durch den Antrag durch.

„Wenn meine Kinder im Kindergarten sind, möchte ich nicht zu Hause sitzen und die Wand anstarren!“

Der Antrag ist fertig ausgefüllt. Ob Lena noch weiß, wie anders das vor einem Jahr noch war? Sie lacht und ist stolz auf das, was sie heute erreicht hat. Jetzt, wo die alltäglichen Briefe nicht mehr überfordern, können wir auch die größeren Fragen angehen. Wie soll es eigentlich beruflich weitergehen?

Lena möchte ihren aktuellen Deutschkurs abschließen und dann vielleicht eine Weiterbildung zur Verkäuferin machen. Sie ist noch unsicher, wie sie das machen kann und wir besprechen gemeinsam die nächsten Schritte: Bei Weiterbildungs-Schulen Informationstermine machen, mit dem Jobcenter sprechen.

Lena freut sich, dass sie Ziele hat. „Wenn meine Kinder im Kindergarten sind, möchte ich nicht zu Hause sitzen und die Wand anstarren!“. Auch das ist ein Satz, den wir schon oft in unserem Projektalltag gehört haben. Die Familie ist dabei oft eine wichtige Motivation, so auch für Lena: „Ich habe viel erlebt. Meine Kinder sollen ein besseres Leben haben“.

*Name geändert

Bist du auch manchmal im Familienalltag oder bei Fragen rund um Arbeit überfordert? Du wohnst mit deiner Familie in Huchting oder Hemelingen? Dann nimm gerne Kontakt zu uns auf!
„Stark für Familien“ (StafF) ist ein ganzheitliches Beratungsprojekt, das dich und deine Familie in den Quartieren Hemelingen und Huchting unterstützt, in stadtteilnahe Beratungs-, Freizeit- und Bildungsangebote vermittelt und zur Aufnahme von Beschäftigung berät. Die Unterstützung leisten wir als Team aus Berater:innen vom Verein für Innere Mission und vom Amt für Soziale Dienste. Wir arbeiten hier besonders eng mit den Häusern der Familien, dem Jobcenter und dem Quartiersmanagement zusammen.
Wende dich an die StafF-Projektkoordination!

Das Projekt „Stark für Familien“ wird im Rahmen des „Akti(F)-Programmes“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert.


Johanna Boos arbeitet als Pädagogische Fachkraft für die Innere Mission und betreut im Projekt „Stark für Familien“ (StafF) Eltern im Bremer Stadtteil Huchting.