Wie Familien eine Trennung gut meistern können: 7 Bausteine zum Gelingen

© Amt für Soziale Dienste Bremen

Als ich den Umschlag öffne, wird es ganz still im Raum. Luiz’* Mama und Luiz‘ Papa warten gespannt darauf, dass ich die Botschaften vorlese, die der siebenjährige Sohn mir für seine Eltern mitgegeben hat. (*Name von der Redaktion geändert)

Luiz‘ Eltern sind seit einem Jahr getrennt. Zusammen hat es nicht funktioniert – und nach einer Trennung zusammen ein Kind großzuziehen, ist auch nicht gerade einfach. Also machen die Eltern sich bei uns in der Beratungsstelle Mitte/West auf die Suche danach, was Luiz braucht, um mit der Trennung und dem neuen Lebensabschnitt klarzukommen.

Und bei dieser Frage ist Luiz selbst natürlich ein absoluter Experte. Darum war Luiz auch bei mir, und wir haben erforscht, womit es ihm gut geht, was ihm Sorgen macht und was er sich von seinen Eltern wünscht. Wir haben das auf Karten geschrieben, in einen Umschlag gesteckt, und Luiz hat ihn sorgsam zugeklebt und „für Mama und Papa“ draufgeschrieben. Luiz hat entschieden, bei dem Termin mit seinen Eltern nicht dabei sein zu wollen.

Heute darf ich mit seinen Eltern über diese Botschaften reden. Und ich habe Eltern vor mir sitzen, die sehr gerne hören wollen, was ihr Sohn zu sagen hat und die es trotz der Trennungskonflikte auch aushalten, dies in einem gemeinsamen Gespräch zu besprechen. Davor habe ich großen Respekt.

Was brauchen also Kinder mit getrennten Familien, um zufrieden aufwachsen zu können?

Zum einen natürlich genau das Gleiche, was Kinder aus anderen Familienformen auch brauchen! Und dazu gibt es ein paar Dinge, die für sie besonders wichtig sind:

1. Verantwortungsübernahme der Eltern: „Wir haben den Hut auf!“

Für Kinder ist es wichtig, dass Eltern sich ihrer Eltern-Verantwortung bewusst sind und diese eigenständig in die Hand nehmen! Ihre Erziehungsaufgabe sollte auch nach einer Trennung kooperativ und wohlwollend gestaltet werden. Es ist wichtig, dass Luiz´ Eltern ihre Themen wie z.B. Absprachen, Termine oder aktuelle Informationen nicht über ihn weitergeben, sondern vielmehr diese gemeinsam am Telefon oder per Mail miteinander austauschen.

Das Motto lautet daher „getrennt – gemeinsam erziehen!“

Seit Luiz weiß, dass die Eltern sich regelmäßig zum Telefonieren verabreden und sich Mühe geben, nicht vor ihm zu streiten, fühlt er sich insgesamt viel besser, kann ruhiger schlafen und hat nur noch selten blöde Gedanken im Kopf.

2. Orientierung: „Wo geht`s lang?“

Gleichzeitig ist es für Kinder wichtig, verstehen zu können, was passiert und wie es weitergeht. Orientiert am Alter der Kinder brauchen sie eine Erklärung der Trennung, die ihnen die Sicherheit gibt, dass sie nicht schuld an der Trennung sind – und auch nichts dafür tun können, dass Mama und Papa wieder zusammenkommen.

Sie wollen sich vorstellen können, wie genau ihr Leben bei Mama und bei Papa jetzt aussehen wird. Im Alltag helfen auch Rituale, die die Mama-Welt mit der Papa-Welt verbinden.

Luiz sagt, er weiß, dass Mama und Papa sich getrennt haben, weil die Liebe weggeflogen ist. Dass beide ihn aber immer liebhaben werden. Er erklärt, dass er immer montags nach dem Kindergarten „wechselt“ und zweimal Geburtstag feiert. Mit Mama schaut er am Wochenende einen Film, mit Papa geht er samstags immer auf den Markt.

3. Beteiligung: „Ich habe was zu sagen!“

Ob Eltern sich trennen, dass entscheiden die Eltern. Das ist richtig so. Diese Entscheidung hat aber einen großen Einfluss auf das Leben der Kinder. Und diese fühlen sich oft ohnmächtig und hilflos. Plötzlich müssen sie sich in einer neuen Welt zurechtfinden, die sie sich nicht ausgesucht haben und die ihnen viel abverlangt.

Da hilft es dem Kind, wenn es jetzt ein bisschen Gehör dabei findet, wie es ihm geht und welche Ideen es selbst hat, was ihm jetzt guttun könnte und vieles mehr.

Allein dadurch, dass Luiz gefragt wird, wie er klarkommt und was er sich wünscht, wird er beteiligt. Seine Ideen? Er würde gern sein Kuscheltier immer bei sich haben, egal bei wem er gerade ist. Er würde bei Mama gern ein Foto von Papa haben und andersrum. Er will wirklich überhaupt gar nicht hören, was die beiden Doofes über den anderen zu sagen haben!

4. Bindung: „Ich habe Euch beide lieb!“

Die Liebe zwischen den Erwachsenen kann weggeflogen sein, die Liebe zwischen Eltern und Kind bleibt das ganze Leben. Jeder Elternteil investiert nach einer Trennung in seine Beziehung zum Kind, um ihm Halt und Geborgenheit zu geben.

Hinzu kommt die oft schwierige Aufgabe, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu unterstützen, denn auch diese braucht das Kind weiterhin. Das bedeutet, die Kontakte zum anderen zu fördern, respektvoll vom anderen zu sprechen, den anderen auch über die zeitliche und räumliche Distanz hinweg im Erleben des Kindes lebendig zu halten.

Fachleute sprechen von „Bindungsfürsorge“ und meinen damit eine aktive Förderung der Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil.

Luiz weiß, dass beide ihn liebhaben und die gemeinsame Zeit mit ihm genießen. Er spürt aber auch, dass Mama es okay findet, wenn er sich auf Papa freut. Und bei Papa darf er frei erzählen, wie schön es bei Mama war. Er kann den anderen Elternteil anrufen, wenn er möchte. Er spürt von beiden die Erlaubnis, den anderen lieb zu haben.

Was er gern wissen würde, wäre, was die beiden aneinander eigentlich mal so gern gemocht haben. Und er wünscht sich, mal Fotos zu sehen aus der Zeit, als die beiden ein glückliches Paar waren.

5. Beruhigung: „Wir sorgen für eine gute Stimmung!“

Für Kinder ist es wichtig, dass Eltern sich nicht vor dem Kind streiten oder im Beisein des Kindes schlecht über den anderen Elternteil sprechen. Kinder haben aufgrund der Erfahrung aus der „schlimmen“ Zeit, viele Antennen mehr „auf Sendung“, sind sensibel im Auffassen von destruktiver Atmosphäre oder negativ gesprochenen Worten – auch in dieser Situation macht der Ton die Musik.

Luiz hat es oft erlebt, dass sich die Eltern am Telefon gestritten haben. Dann hat er sich in sein Zimmer verkrochen und mit seinem Kuscheltier gekuschelt und ihm seine Gedanken erzählt. Die Eltern haben dies oft gar nicht mitbekommen. Das tat Luiz immer sehr weh!

Damit dies nicht mehr passiert und Luiz sich frei zwischen den zwei Lebenswelten bewegen kann, braucht es von den Eltern eine beruhigende Atmosphäre. Beruhigung beim Verabschieden und beim Ankommen, bei allen Dingen des alltäglichen Miteinanders.

Für Luiz ist es wichtig, dass er mit einer guten Stimmung zum Papa gehen kann und bei Mama, nicht nur symbolisch, mit offen Armen empfangen wird. All dies trägt zu einer beruhigten Atmosphäre bei und unterstützt das Pendeln zwischen den beiden Welten für Luiz.

6. Unterstützung aktivieren: „Wir sind ein großes Team!“

Wenn Eltern sich trennen, trennen sich gleichzeitig auch immer zwei Lebenswelten, zu denen die gesamte Familie, die Großeltern, Nachbarn, Bezugspersonen etc. zählen. Daher können diese einen positiven Einfluss darauf nehmen, wie die Kinder und die Eltern die Trennung verarbeiten könne

n. So kann z.B. die geliebte Oma die Kinder regelmäßig zu sich nehmen, um Halt und Geborgenheit zu spenden und gleichzeitig der Mutter oder dem Vater den dringend benötigten Freiraum für Erledigungen oder zum Durchatmen zu geben.

Luiz besucht sehr gerne beide Omas und Opas. Er weiß, dass er dort immer herzlich aufgenommen wird und dass er dort immer mit leckeren Süßigkeiten und seinem Lieblingsessen verwöhnt wird. Nur übernachten möchte er dort nicht so gerne, da er abends, wenn es dunkel wird, immer Mama und Papa vermisst.

7. Eltern-Akku: „Ich tanke mich auf!“

In der Beratung der Eltern ging es auch darum, wie jeder seinen eigenen Akku aufladen kann. Wo sind meine Aufladestationen im Alltag? Wie kann ich diesen wieder mehr Raum geben? Es ist nicht immer leicht, sich selbst die Erlaubnis zu erteilen, die eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen.

Doch ist es ein wichtiger Bestandteil für getrenntlebende Eltern, diese neue Rolle zu füllen, die eigenen Ressourcen und Möglichkeiten zur Stärkung zu aktivieren und in die jeweiligen Zeiten mit und ohne Kind zu integrieren.

Seitdem Luiz´ Mama wieder regelmäßig zum Yoga geht und Papa die Laufschuhe wieder anzieht, erlebt er seine Eltern deutlich zufriedener und viel weniger miteinander streitend.

Trotz Trennung Elternteam bleiben

Im Gespräch mit Luiz‘ Eltern waren heute ein paar Taschentücher nötig. Beide waren gerührt davon, wie klar er sich geäußert hat. Seine Themen werden nun in der Elternberatung nach und nach bearbeitet.

Ich bin sicher, Luiz wird gut mit der Trennung zurechtkommen, denn er hat zwei Eltern, die trotz ihrer Verletzungen und Schwierigkeiten dafür sorgen, dass er zu beiden eine gute Beziehung hat. Und die versuchen, trotz Trennung als Elternteam zusammenzuarbeiten und für ihn da zu sein.

Wenn auch Sie Unterstützung wünschen, können Sie sich an diese Beratungsstellen wenden:


Henryk Lorenz und Ini Friedrichs beraten viele Eltern, die sich trennen wollen oder getrennt haben. Gemeinsam mit den anderen aus dem Team der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern in der Hans-Böckler-Straße sind die Psychologin und der Sozialpädagoge die richtigen Ansprechpersonen, wenn es um das Familienleben geht: Sie beraten nicht nur bei Trennung und Scheidung, sondern auch bei Konflikten innerhalb der Familie, aber auch bei Problemen in der Kita oder in der Schule, bei Erziehungsfragen oder zu Verhaltensauffälligkeiten. Außerdem können hier viele Themen wie Pubertät, Trauer oder Medienkonsum angesprochen werden.