10 Jahre Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: Ein Jahrzehnt zuhören und helfen

02.05.2024

Im Laufe eines Jahrzehnts hat sich das das anonyme und kostenfreie Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch als die zentrale bundesweite Anlaufstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend, für Angehörige, Fachkräfte und für alle Menschen, die sich Sorgen um ein Kind machen oder Fragen zum Thema haben, etabliert. Rund 50.000 Gespräche seit dem Start in 2014 zeigen den großen Bedarf an diesem Angebot und spiegeln die zunehmende gesellschaftliche Sensibilisierung für das Thema sexualisierte Gewalt.

Hilfestrukturen nachhaltig stärken

Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM): „Die Arbeit des Hilfe-Telefons Sexueller Missbrauch ist von unschätzbarem Wert für alle Anrufenden. Die Berater*innen sind oft diejenigen, denen sich Betroffene oder Angehörige erstmalig anvertrauen. Auch Fachkräfte und andere Menschen aus dem nahen Umfeld von Kindern und Jugendlichen suchen dort zunehmend Unterstützung und die Tendenz ist steigend. Das zeigt ganz deutlich, wie wichtig die Arbeit des Hilfe-Telefons ist.

Es zeigt auch: Wir müssen Hilfestrukturen nachhaltig stärken. Wir sind in der Verantwortung, sowohl die Unterstützung für Betroffene als auch den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt zu verbessern. Dafür braucht es eine gesetzliche Grundlage, wie sie jetzt mit dem UBSKM-Gesetz vorgesehen ist. Das Gesetz befindet sich in der Ressortabstimmung und Länder und Verbände wurden beteiligt. Ich gehe davon aus und erwarte, dass es jetzt wie geplant zeitnah vom Kabinett verabschiedet wird.“

Das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch, gefördert durch die UBSKM, ist ein Angebot von N.I.N.A. e. V. – der Nationalen Informations- und Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend.

Oft mehr als ein komisches Gefühl

Silke Noack, Geschäftsführender Vorstand von N.I.N.A. e. V., Leitung des Hilfe-Telefons, betont die Bedeutung dieses niedrigschwelligen Angebots: „Viele Menschen rufen uns an mit einem komischen Gefühl. Und das ist gut so. Sie haben etwas beobachtet, wissen aber nicht, wohin sie sich wenden können. Und wenn man nicht weiß, wohin man sich wenden kann, bleibt man mit diesem Gefühl alleine zurück. Ich möchte, dass Menschen aufmerksam werden und sich trauen hinzuschauen, damit sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen aufgedeckt und schneller beendet wird.“

In den Gesprächen geben die Berater*innen des Hilfe-Telefons eine erste fachliche Einschätzung sowie konkrete Hinweise zum möglichen weiteren Vorgehen. Ziel der Beratung ist, dass sich die Ratsuchenden sicherer fühlen im Umgang mit der Situation. Die Berater*innen informieren darüber, wie die nächsten Schritte aussehen und welche Ansprechstellen vor Ort aufgesucht werden können.

Das Hilfe-Telefon entwickelt sich weiter – bedürfnisorientiert und barrierearm.

Seit 2016 werden die Gespräche, sofern die Anrufenden zustimmen, im Rahmen eines Begleitforschungsprojektes des Universitätsklinikums Ulm auch anonym wissenschaftlich dokumentiert und ausgewertet. Zentrale Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung der letzten Jahre zeigen, dass die Anrufe zu (Verdachts-)Fällen in den Jahren 2019/2020 deutlich zugenommen haben und seitdem auf einem konstanten Niveau bleiben. Bei den Personen aus dem sozialen Umfeld ist insbesondere ein Anstieg bei den Fachkräften auf 16,4 % zu verzeichnen.

In den ersten Jahren der Datenerhebung wurde die Familie in über 60 % der berichteten Missbrauchsfälle als Tatkontext benannt, 2023 lag der Anteil noch bei 43,5 %. Gleichzeitig wurden 2023 das soziale Umfeld (22,4 %), der Kindergarten (7,0 %) und die Schule (10,7 %) vermehrt als Missbrauchskontext benannt.

Aus den Gesprächsbedarfen konnten neue Entwicklungen sowohl für die Arbeit des Hilfe-Telefons als auch der UBSKM abgeleitet und die Hilfeangebote in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelt werden: Ergänzt wurde das Angebot des Hilfe-Telefons Sexueller Missbrauch in den vergangenen Jahren um weitere kostenfreie Angebote wie das Hilfe-Telefon berta (2019), das bei Fragen rund um sexualisierte organisierte und auch rituelle Gewalt berät, die Online-Beratung (2021), die Fachkräfteberatung (2022), die Beratung in 19 Sprachen (2023) und die Beratung in Gebärdensprache (2024).

Unterstützung bei sexualisierter Gewalt mittels digitaler Medien

Viele Jugendliche und junge Erwachsene, die akut oft von sexualisierter Gewalt im Netz oder Peer-Gewalt betroffen sind, wenden sich an das Hilfe-Telefon. Sie nutzen vor allem die Online-Beratung. Die Berater*innen sind für die jungen Menschen da und überlegen gemeinsam mit ihnen, was möglich ist, um sie vor der Gewalt zu schützen oder diese zu beenden.

Tanja von Bodelschwingh, Geschäftsführender Vorstand von N.I.N.A e. V., Leitung der Online-Beratung des Hilfe-Telefons, betont: „Viele Täter landen digital in den Kinder- und Jugendzimmern. Gut ist, dass wir mit der Online-Beratung auch dort sind. Viele Jugendliche nutzen die Möglichkeit der anonymen Online-Beratung. Viele von ihnen sind akut betroffen. Sie wollen und können nicht darüber sprechen. Telefonieren ist ohnehin für junge Menschen kaum noch ein Thema. Schreiben hingegen schafft die nötige Distanz: Sie können entscheiden, was sie uns mitteilen, wann sie die Antworten lesen und ob sie sich erneut melden möchten oder eben nicht. Ganz selbstbestimmt. Das macht vielen Mut, auch weitere Schritte zu gehen.“ Das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch und seine weiteren Angebote werden auch zukünftig eine zentrale Säule des UBSKM-Amtes darstellen.

Quelle: Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Pressemitteilung, 02.05.2024